HERVORRAGENDE ANMERKUNGEN

 

    25 OKTOBER 1986

917 vs. 962C

 "Im Spiegel der Zeit"

Von Bernd Ostmann

Nirgendwo wird die Gegenwart von der Zukunft schneller überrollt als auf der rennstrecke. Was heute als letzter Schrei der Renn-Haute Couture gilt, wird morgen belächelt. Je weiter die Rennwagenkonzepte auseinderliegen, desto tiefer die technischen Gräben. Der aktuelle Porsche 962C un der 1969 entworfene 917 machen da keine Ausnahme.

Die beiden Autos wurden bei derselben Firma für dieselbe Rennserie konzipiert -und doch stecken sie voller Gegensätze. Der Oldtimer hat ein Rohrrahmen-Chassis, die aktuelle Rennkonstruktion ein Monocoque. Früher favorisierte man einen Zwölfzylinder-Saugmotor, heute besorgt ein Sechszylinder-Biturbo den Vortrieb.

 

Technik im Detail: vorn gibt's beim Porsche 962C eine kuppelartigue Pilotenkanzel, dahinter einen Kraftraum, dessen Ende das keilförmig ummantelte Getriebe bildet.

 

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Technik im Detail: Porsche 917

Selbst ihre Definition im Sportgesetz trägt unterschiedliche Wesenszüge: Der Porsche 917 siegte als "Seriensportwagen bis fünf Liter Hubraum". Mindestens 25 Exemplare mußten für die Homologation auf die Räder gestellt werden. Der Regelrahmen erlaubte ein Mindestgewicht von 800 Kilogramm und einen maximalen Tankinhalt von 140 Litern. Das Reglement hatte aber auch kuriose Forderungen parat: Es verlangte neben einem Beifahrersitz und einem Reserverad auch einen Norm-Kofferraum - als ob irgendeiner auf die Idee hätte kommen können, mit einem Porsche 917 an die Riviera zu düsen. Aber das Sportgesetz kannte kein Pardon: Zwei Koffer im Format 60x40x20 Zentimeter mußten irgendwo ins Auto passen.

Eine gewisse Liberalisierung der Gesetzgebung ist heute schon zu spüren. Den Porsche 962C definiert das Gesetzbuch als einen Sportprototypen, der ausschließlich für Rennen auf abgesperrten Rennstrecken konzipiert ist. Aber auch er muß neben dem Fahrersitz noch eine leichte Plastikshale im Innern tragen - eine langbeinige Blondine wird sich aber sicher nie dorthin verirren. der aktuelle Porsche muß 50 Kilogramm mehr auf die Waage bringen als ein alter Vetter. Ein weiteres Handikap: Das Verbrauchsreglement gestattet nur 510 Liter für 1000 Kilometer.

Auf den ersten Blick finden sich zumindest optische Paralelen. Beide haben die klassisch aggressive Sportwagen-Silhouette, flachgeduckt, mit üppig gerundeten Radverkleidungen vorn, die kuppelartige Panoramascheibe des Cockpits, dahinter die langgestreckte Kunststoffabdeckung des Maschinenabteils, die schließlich in einem ordentlichen Heckflügel gipfelt.

Glaubt man allerdings den Zahlenspielen der Aerodynamiker dann trügt der erste Blick gewaltig. Einmal vom Fahrtwind umströmt, trennen die beiden Konstruktionen Welten. Eine Porsche-Untersuchung ergab: Bei Tempo 230 hat die Abtriebskraft beim Porsche 962C bereits die Größenordnung des Eigen-Gewichts (etwa 950 Kilogramm, einschließlich vollem Tank plus Fahrer) erreicht. Der alte 917 braucht 300 km/h, bis sich eine Abtriebskraft aufbaut, die seinem Gewicht entspricht. Auf die Rennstrecke umgesetz: Der 962C meistert Querbeschleunigungen bis zum Zweieinhalbfachen der Erdanziehungskraft (2,5g) und erreicht beispielsweise im südfranzösischen Paul Ricard Rundenzeiten, die vier Sekunden unter den 917er-Bestwerten (aufgestellt von der stärksten 917-Variante, dem 917/30 mit 1000 PS-Turbomotor) liegen.

Nicht, daß jetzt der Verdacht aufkommt, der 917 hätte nie einen Windkanal von innen gesehen. Wie bei allen Porsche-Sportwagen, so hieß auch hier die erste Pflichtlektion: Aerodynamik - und das praktish von klein auf, zuerst als 1:5-Modell, später im ausgewachsenen Zustand. Und die Aerodynamiker bei Porsche waren damals keineswegs einfältige Burschen. Sie gaben dem 917 ein ausgeklügeltes Spoilersystem mit auf den Weg. Klappen an Bug und Heck, die je nach Radbewegung aufgerichtet oder flachgestellt wurden.

Drohte der Wagen beispielsweise über einer Kuppe einmal abzuheben, dann stellten sich mit dem Anfedern der Räder gleichzeitig die Spoilerklappen steil in den Wind. Schade, daß der feine Trick schnell verboten wurde. An die Aerodynamik-Streiche der Gegenwart hätte er aber mit Sicherheit ohnehin nicht herangereicht.

Das Geheimnis hinter den sensationellen Abtriebswerten am Porsche 962C heißt schlicht "ground effect". Die Formel 1 hat die Revolution mit den "wing cars" eingeleitet. Beim "wing car" wird durch ein umgedrehtes Flügelprofil an der Wagenunterseite ein Unterdruck ("ground effect") erzeugt, der das Rennauto regelrecht an die Fahrbahn saugt. Der revolutionäre Parterre-Akt war im Fall Porsche allerdings eine etwas schwierigere Übung. Schließlich wollte die FISA Auswüchse wie in der Formel 1 schon im Keim ersticken. Seitliche Schürzen oder Dichtleisten sind verboten. Außerdem muß jeder Sportprototyp an seinem tiefsten Punkt parallel zur Fahrbahn eine ebene Bodenplatte (100x80 Zentimeter) montiert haben.

Der gewünschte Effekt wird trotzdem erreicht. Der Fahrtwind streicht geschickt gelenkt in zwei Kanälen an der Bodenplatte vorbei. Und damit die Luft möglichst ungehindert unter dem Auto durchströmen kann, haben sich die Porsche-Techniker Mühe gegeben, alle störenden Teile aus den Luftschächten zu verbannen.

Ganz ist es ihnen nicht gelungen: Vorn und hinten stehen zumindest noch die flachen Dreiecksquerlenker im Luftstrom. Vorn hat man die Bilstein-Gasdruckstoßdämpfer einfach nach außen gerückt, hinten war der konstruktive Aufwand schon etwas größer: Die Stoßdämpfer stützen sich auf dem Getriebe ab und werden über ein ausgeklügeltes Hebelwerk unter Druck gesetzt.

Die ersten "ground effect" Versuche brachten bei Porsche aber nicht allein Probleme, sondern auch überraschende Erkenntnisse: "Daß der Bodeneffekt den Abtrieb des Fahrzeugs erheblich erhönt, gleichzeitig den Luftwiderstand aber nur mäßig ansteigen läßt", wie Porsche-Renningenieur Norbert Singer verrät. Lag das Verhältnis zwischen Abtrieb und Luftwiderstand beim Porsche 917 abhängig von der Einstellung bei ungefähr 1,8, so realisierte man beim Porsche 962C einen Wert von 3,9 -bei gleichem Luftwiderstand hat der neue Rennkandidat also mehr als doppelt so hohen Abtrieb wie der Oldtimer.

Die ersten Schritte in Richtung "ground effect" waren aber auch eine modishe Trendwende. hatten die Aerodynamiker bislang, um eine Unterströmung zu verhindern, vorn Spoiler mit scharfen Kanten in den Wind gestellt, so kam plötzlich die abgerundete Bugnase in Mode -Unterströmung war ja nun erwünscht. Und im Verlauf der Untergrund-Forschungen bekam die Porsche-Unterseite eine ganze Reihe von Höckern und Dellen, an denen der Luftstrom abgebremst oder beschleunigt wird. Ganz vorn am Lufteintritt gibt es beispielsweise am Boden als eine Art Beschleuniger einen Buckel. Direkt unter der Vorderachsmitte als aerodynamische Bremse dann eine kleine Vertiefung, ehe der Luftstrom wieder in Richtung Heckabteil Fahrt aufnimmt.

Wenn sich die Bodenkontur unter der tonnenschweren Belastung einmal verformt, sind die Vorteile allerdings dahin. Bei allerersten Windkanaltests riß am Porsche ein Bugteil, und spätere Versuche ergaben: Wenn sich der Boden auch nur um fünf Millimeter verformt, reduziert sich der Abtrieb um 20 Prozent.

Der "ground effect" reagiert nicht allein auf Formveränderungen am Wagenboden mimosenhaft, sondern auch auf jede Höhenveränderung der Karosserie. Kein Wunder, daß deshalb mit den enormen Ansaugkräften auch die Federraten nach oben schnellten. Auf manchen Strecken werden heute Federraten von bis zu 220 Newton/Millimeter gefahren. Der alte Porsche 917 reitet keine so harte Welle. Er gibt sich mit einem Drittel dieses Wertes zufrieden, wirkt deshalb auch etwas behäbiger und reagiert nicht ganz so flink auf jede Lenkradbewegung.

Ein alter Porsche-Grundsatz sagt: Das Handling eines Rennautos kann schlecht sein, wenn nur Fahrwerksveränderungen spürbar werden. Der erste Schritt in diese Richtung: ein solides, steifes Chassis. Der Porsche 917 ist noch ein Rennauto vom alten Schlag, mit einem Rohrrahmen. Das Aluminium-Gestell wiegt ganze 47 Kilogramm -und ist dabei doch so etwas wie ein Multitalent. Die Längsrohre trotzen nicht nur jedem Druck, sie sind gleichzeitig Zu- und Rücklaufleitung für die vorn im Bug plazierten Kühler. Und die breiten Seitenkästen bieten den Tanks ein Zuhause. Allzu sicher ist dieser Ort nicht, aber Sicherheit war 1969 noch kein Reizthema. Hans Mezger, heute bekannt als Konstrukteur des Porsche-Formel 1-Motors, zeichnete für das Gesamtprojekt 917 verantwortlich. In einem seiner Aufsätze in der "Automobiltechnischen Zeitschrift" kann man zum Thema 917 im Kapitel Sicher heitsvorkehrungen nachlesen: "Alle Rennfahrzeuge sind mit Sicherheitsgurten ausgerüstet, die auch von den meisten Fahrern benutzt werden".

Porsche 917: der Rohrramen wiegt nur 47 Kilogramm, ist aber nicht so verwindungssteif wie ein Blechmonocoque

Das Porsche 917-Chassis war zu seiner Zeit sicherlich ein technisches Wunderwerk. Eine Porsche-Untersuchung bescheinigt ihm heute allerdings nur noch historische Werte: Der 917-Rohrramen hat eine Torsionssteifigkeit von etwa 5000 bis 6000 Newton/Grad. Bei den heute üblichen Federhärten und Stabilisatoreinstelungen würde sich das filigrane Rohrgestell wie eine Lakritzenstange verdrehen. Zum Vergleich: Die Torsionssteifigkeit aktueller Monocoques liegt bei 20000 Nm/Grad und darüber Rohre sind etwas aus der Mode gekommen. 

Porsche 962 C: ein Blechmonocoque als stabile Kernzelle.

 

Der moderne Porsche-Rennfahrer reist in einem Monocoque, das nach einem komplizierten Schema berechnet und dann auf einem Elektropulser auf Biegung und Torsion belastet wurde. Die Eigenfrequenz entlarvt dabei eventuelle Weichheiten oder sogenannte Beulvorkommen im Handstreich. Das Blech-Chassis ist nicht nur verwindungssteif. es ist auch relativ sicher. Ganz vorn im Bug gibt es eine Knautschzone. Die Füße des Chauffeurs sind hinter der Vorderachse plaziert, der Sicherheitstank ist hinter dem Fahrer im Blechverbund eingearbeitet.

Dahinter zischen und pfeifen die beiden Turbolader an einem Sechszylinder-Motor, der auf eine große Vergangenheit zurückblickt und noch eine große Zukunft vor sich hat.

Einst für den Porsche 911 kreiert, leistet der Sechszylinder-Biturbo im neuen Super Porsche 959 450 PS. Den letzen Feinschliff bekam das Technikjuwel im aktuellen Sportwagen; dort leistet es zwischen 650 und 800 PS -und gibt sich ausgesprochen sparsam. denn das Reglement der Gruppe C stellt die Motorenbauer vor eine harte Denkaufgabe: Gefragt ist nicht allein die schiere Kraft, sondern das intelligente Zusammenspiel zwischen Power und Kraftstoffverbrauch.

Der Sechszylinder hat alles, was ein moderner Verbrauchsküntler heute braucht: ein vollelektronisches Niederdruck-Einspritzsystem von Bosch, eine kluge Brennraumform und wassergekühlte Vierventil-Zylinderköpfe. Während die meisten Porsche-Teams im Rennen mit 2,8 Liter-Motoren fahren, ist das Werk einen Schritt voraus. Der letzte Hit: ein Dreiliter-Aggregat mit kompletter Wasserkühlung und einem spezifischen Verbrauchsbestwert von 190 gramm pro PS.

Allzu durstig war der Zwölfzylinder aus dem alten 917 wohl auch nicht. "Wir haben nur zwischen 42 und 44 Liter pro 100 Kilometer verbraucht", erinnert sich Manfred Kremer an den letzten 917-Auftritt 1981 in Le Mans. Sein Porsche 917 ist eigentlich ein Nachbau; in einer Übergangszeit, als die neue Gruppe entstand dieser letzte Porsche 917 nach den Original-Zeichnungen und mit den Original-Werkstoffen. Einzig die Karosserie erlebte ein paar Retuschen, wie am Heckspoiler oder an den tief heruntergezogenen Seitenteilen zu erkennen ist. Was original blieb und "eigentlich das Wertvollste ist" (Kremer): der Zwölfzylinder-Motor.

Damit der Zwölfzylinder im Porsche 917 satt durchatment kann, hat man ihm eine Luke in der Karosserie geöffnet. Lüftungsschlitze in Kotflügel und Felge sichern die Bremskühlung

Die Gänsehaut läuft einem den Rücken runter, wenn der Boxer das erste Mal mit einem tiefen Grollen inhaliert, wenn die Gasschieber öffnen und er aus den fast armlangen Trichtern gierig die Luft ansaugt. Da versteht man, was der Motorenspezialist aus Köln mit "wertvoll" gemeint haben mag.

Dabei bietet der Zwölfzylinder nicht allein einen unvergleichlichen Sound. Er hat auch innere Werte. Die mächtige Kurbelwelle, die auf jedem Zapfen gleich zwei Pleuel sitzen hat, oder den sogenannten Mittelantrieb mit den beiden Zahnrädern un der zur Kupplung führenden Abtriebswelle. Damit nicht immer die gleichen Zähne aufeinander reiben, haben die Zahnräder unterschiedliche Zähnezahlen (32 und 31)- was an der Kupplung zu einem Drehmomentverlust von rund drei Prozent führt. Der Verlust durch das Kühlgebläse (rund 17 PS) für Zylinder und Zylinderköpfe ist groß. Rund 65 Prozent der Kühlluft wird den Zylinder köpfen zugefächelt, da lohnt es sich schon, wenn der 962C-Motor jetzt dafür eine Wasserkühlung spendiert bekam.

Die klassische Sportwagen- Silhouette ind ihre feinen Unterschiede: Abtrieb erzeugt der Porsche 917 (unten) allein über Karosserie und Heckflügel

Der Porsche 962 C dagegen baut zusätzlich auf seinen ausgeklüggelten Unterboden. Der Fahrtwind erzeugt unter dem Auto einen Unterdruck und saugt den Sportwagen förmlich an.

Hat der Porsche 917 seinen Fahrauftrag längst erfüllt, so blickt der Porsche 962 C (ganz rechts) in eine eher ungewisse Zukunft: Die FISA arbeitet gerade an einem neuen Motorreglement.

Als Fünfliter leistete der Zwölfzylinder rund 600 PS. 1972/73, als der Porsche 917/30 die amerikanische CanAm-Rennserie aufmischte, gab es eine Turbovariante mit weit über 1000 PS. Während die Turbo-Version ordentlich siegte, kam eine andere Variante über das Teststadium nie hinaus: Ein 16-Zylinder, den man in Weissach als eine Art "Fleißaufgabe" sah, wie sich Hans Mezger erinnert. "Das war der Vorteil des Mittelantriebs, wir mußten an jede Ecke praktisch nur noch einen Zylinder ansetzen". Nachdem vorher noch kein 16-Zylinder richtig funktionert hatte, "wollten wir zeigen, daß wir auch einen solchen Motor beherrschen" (Mezger). Für die Sportwagen -Meisterschaft war der 16-Zylinder allerdings zu groß.

Porsche 917: der Zwölfzylinder leistet 600 PS.

Heute würde er seine Chance sicherlich bekommen -zumindest im Training. Das Reglement limitiert den Kraftstoffverbrauch nur für das Rennen. Im Training fahren die meisten Teams deshalb größere Qualifikationsmotoren. 

Ein Sechszylinder Biturbo für den satten Vortrieb

Das Aggregat des Kremer-SAT-Porsche 962C hat einen Hubraum von 3,2 Liter und entwickelt eine Leistung von 800 PS.

Wer bei diesen Zahlen ehrfürchtig in die Knie geht und dahinter einen übel zuschlagenden Dampfhammer erwartet, wird ein wenig enttäuscht sein. Kraft gibt es natürlich genug, aber der Treibsatz verfügt darüber hinaus über ausgesprochen gute Manieren. Wenn man sich nicht gerade satt im Laderbereich tummelt, dann könnte man mit dem Porsche-Sportwagen getrost in Richtung Supermarkt abbiegen.

Für den Einkauf wäre sicherlich der alte Porsche 917 besser geeignet - schließlich hat er einen ordentlichen Gepäckraum. 

Von Bernd Ostmann

 

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